Das Beste an Heidelberg …

Zigarrenwonne

Wonnen des Zigarrenrauchs


… ist das Café gegenüber vom Bahnhof. Dort kann man rauchen. Von dort ist es auch nicht mehr weit zu den Zügen, die einen aus Heidelberg wegschaffen.
Es hätte mich nicht gewundert, wenn es in der vom Tourismus verwüsteten Neckarstadt überhaupt keinen gemütlichen Ort mehr gäbe, an dem ich eine gute Havanna zum Kaffee bzw. Viertele hätte genießen können. Immerhin wird von hier aus der Feldzug gegen den mörderischen Qualm dirigiert. Die Krebsforscher sind Lichtgestalten, deren Aura das ansonsten trübe Bild nicht nur von Gesundheitspolitikern ein wenig aufhellt; Verdienstorden säumen ihre Ruhmeswege.
Nebenher leisten sie einen bedeutenden Beitrag zur kulturellen Ausprägung des deutschen Nationalcharakters. In dem zweiten Rauchercafé von Heidelberg (man bat mich dort, Namen und Standort nicht herauszuposaunen) feiert das Denunziantentum seine Restauration (schöner Doppelsinn!): mehrmals die Woche wird beim Ordnungsamt angezeigt, dass Schwaden aus dem Rauchersalon, durch eine von Zeit zu Zeit benutzte Tür hindurchwabernd, die empfindliche Gesundheit der daneben verweilenden Nichtraucher bedrohen. Natürlich könnten sie sich woanders hinsetzen – vielleicht sogar in ein Nichtrauchercafé. Damit aber wäre ihrem teutonischen Furor nach der Durchsetzung von Verboten nicht Genüge getan: „Da könnte ja jeder …!“, „Wehret den Anfängen!“ Vermutlich fahren diese von wissenschaftlichem und gesellschaftlichem Missionsgeist Druchdrungenen in der Welt herum, um Reiseveranstaltern ihre Versäumnisse vorzurechnen – es ist ihr Verständnis von Migration mit Leitkultur.
Es wird schließlich nicht nur die Gesundheit geschützt. Deutschland ist und bleibt das Reservat von Hausmeistern, Oberlehrern, Denunzianten, die vor allem eines wollen: Ihre Mitmenschen zur Ordnung erziehen. Welche Ordnung ist eigentlich egal. So ist dafür gesorgt, dass sämtliche historischen deutschen Perioden von Barbarossa bis zur DäDäÄrr in ihren Archetypen weiterleben, überall.

Romeo lässt bluten

Buchcover bei amazon

Buchcover bei amazon

Die Recherche zum Roman führte mich auch zur Website der Stasi-Insider, also ehemaliger vor allem hauptamtlicher Mitarbeiter von Erich Mielkes Liebesministerium, wo natürlich viele, viele Texte mit Rechtfertigungen des Musters „andere Geheimdienste sind auch nicht zimperlich … (dabei aber viel weniger erfolgreich)“ zur „kritischen Aneignung der Geschichte des MfS“ eingestellt werden. Abgesehen von dem Umstand, dass noch kein Gericht der Welt einen Mörder freigesprochen hat, nur weil er auf andere Mörder mit Fingern zeigte: Ein wesentlicher Unterschied zwischen DäDäÄrr und Demokratie liegt nun einmal darin, dass hier auch die schäbigsten Spitzel und Menschenschinder vom MfS die Freiheit öffentlicher Meinungsäußerungen genießen.
Es liegt mir fern, den bisweilen durchscheinenden Stolz der Tschekisten auf ihre Heldentaten zensieren zu wollen. Hinweisen will ich aber doch auf ein Buch, das die Helden in ihrem unreigensten Fachgebiet erlebbar macht: der Menschenliebe. Da wo sie Romeo sein durften für einsame Frauen in den Vorzimmern Bonner Ministerien, Firmen, Organisationen. Geschrieben hat es Marianne Quoirin, es heißt „Agentinnen aus Liebe“; die Stasi-Insider fanden, dass es ein schlechtes Buch ist, ich nicht:

Wenn Leute mit der Ankündigung auftreten, sich um die Rettung der Welt, des Seelenlebens, des Klimas etc. bemühen zu wollen, reagiere ich mit äußerstem Argwohn. Noch größer wird dieser Argwohn, wenn Korporationen Vergleichbares ankündigen. In den vergangenen zweihundert Jahren kamen die schlimmsten Verbrechen, Grausamkeiten, Verblendungen Täuschungen, Verirrungen der Gattung fast immmer in der Gefolgschaft vorgeblicher Weltenretter.
Es gibt sie immer noch; Verantwortung für ihre Heldentaten lehnen sie ab, sie haben ja höheren Zielen gedient.
Dass auch die ganz persönlichen Katastrophen einer großen Zahl weiblicher Angestellter in wichtigen Positionen von Politik und Wirtschaft der alten Bundesrepublik, ihre ganz persönlich erlittenen Verblendungen und Grausamkeiten dem Selbstverständnis einschlägiger Helden kein Wort des Bedauerns wert sind, sollte eigentlich keinen mehr wundern, dachte ich.
Aber bei der Lektüre von “Agentinnen aus Liebe” wurde mein Wissen zumindest um wichtige Details aus der Tätigkeit von “Kundschaftern des Friedens” bereichert. Frau Quoirin hat gründlich recherchiert, beweist – wo es angebracht ist – Mitgefühl mit den von “Romeos” aus Erich Mielkes Liebesministerium Betrogenen, beschreibt ohne empörte Attitüde die ganze Schäbigkeit und menschliche Verwahrlosung des Systems, das letztlich ja an den Defekten seines Menschenbildes zugrunde ging. Deutlich wird auch, wie die organisierte Verantwortungslosigkeit, wie menschliche Defizite in Bonner Amtsstuben, wie kleinkarierte Erziehung und Kitschblüten in den Vorstellungen vom Zusammenleben die Ost-Casanovas begünstigten. Die Autorin hat keine große Literatur verfasst, aber einen hilfreichen Text gegen den Glauben an Weltenretter – nicht nur von Gnaden der Herren Mielke und Markus Wolf.

Von Menschen und Schneeflocken

Nebelleuchten

Eislicht am Merkurberg in Baden-Baden


Gedanken in Schneelandschaften – aus „Babels Berg“

Die Naturwissenschaftler der ruhmreichen Sowjetunion arbeiteten seit langem daran, das Wettergeschehen für die Planung verfügbar zu machen, aber sie hatten bisher ebenso wenig den passenden Regen für die Landwirtschaft wie die Sonne für die gewerkschaftseigenen Ferienorte beschafft. Wenn es ihnen gelänge, in frostiger Strömung aus Sibirien Eis und Schnee heranzuführen, wäre der Kalte Krieg gewonnen, die „Frontstadt Westberlin“ befriedet, der Schmerz, den dieser Pfahl im Fleisch des Arbeiter- und Bauern-Staates seinen Funktionären einbrannte, wäre gekühlt. Die westlichen Politiker würden dem geradeso gut tatenlos zusehen müssen wie dem Mauerbau. Sie würden Mitleid mit den frierenden Brüdern und Schwestern in der Ostzone haben; es war sicher kaum zu erwarten, dass das Eis sich genau an den Grenzverlauf hielte. Überhaupt existierte die planmäßige Wettergestaltung nur als Wunsch, Schneefeld geworden auf der Karte, und an diesem Tag begann es wieder einmal planlos auf alle Stadtteile zu schneien. … (wer mag, kann sich ab hier das Video anschauen…)

Gustav stellte fest, dass er viel zu leicht angezogen war. Er schlug den Kragen seiner Jacke hoch, trabte Richtung Staatsbibliothek.
Kurz vor der Kreuzung zu den „Linden“ fasste ihn ein Mann am Ärmel.
„Tschuldjung: Sie sinn doch aus’m Westen?“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Na, det sieht man doch, so wie Sie anjezoren sinn. Ick hätte da mal ne Bitte. Ick bin nämlich Nassrasierer, wissense, un hier im Osten kricht man einfach keene anständjen Klingen. Wennse mir nu mal ’n paar Westmark jeben könnten, denn könntick ma in’ Intershop’n paar Wilkinson koofen.“
Gustav war geschmeichelt, zuckte die Schultern und sagte:
„Tut mir leid, ich habe kein Kleingeld.“
„Na det macht doch nüscht, ick jeb Ihn’ zweehundat Ost für fuffzich dee-emm.“
„Nein nein“, stotterte Gustav, „das möchte ich nicht.“
„Wat? Det is doch’n prima Jeschäft? Für det Jeld könnse hier ins Interhotel essen jehn vons feinste! Oda biste janich aus’n Westen? He, du Arschloch, vasuch det nich noch mal, mir hier anzuscheißen!“
Den Rest der Hasstirade verschluckte der Schnee, immer dichtere Flocken sammelten sich auf Gustavs Schopf, rannen ihm tauend übers Gesicht. Jede dieser Flocken verlor dabei ihre einzigartige Gestalt. Kein Meteorologe oder Physiker würde je eine Vorhersage über all die Milliarden Gestalten geben können, die in jedem Augenblick neu entstanden und nach kurzem Flug vergingen. Es war ebenso unmöglich, aus den Tropfen Auskünfte über die Form der geschmolzenen Kristalle zu erhalten. Und doch war jeder einzelne Kristall ein unverwechselbarer, unentbehrlicher Teil des Universums, das mit ihm jeden Moment neu erschaffen wurde.

Was zu Ende schien, beginnt

Eisblüten
Der Winter friert die letzten Chrysanthemen ein. Aber an den Haselnussträuchern und Weiden gleich daneben sind schon Frühlingssignale unterm Schnee zu sehen. Wenige wärmende Strahlen genügen, dass sie ihre Hüllen sprengen, unterm lustvollen Geschrei der Vögel die neue Runde beginnen: treiben, blühen, reifen, sterben.
Viervierteltakt des Jahres. Viervierteltakt des Lebens. Wann endet der Tanz?
Wir wissen es nicht. Ich weiß natürlich, dass jenseits der Sechzig nur noch die Wintersaison auf mich wartet; das zugehörige Bild von Caspar David Friedrich mahnt allzu dringlich, die gezählten Tage nicht mehr an Verdruss und Ärger zu verschwenden – zumal die Abhängigkeit vom Wohlwollen anderer nicht abnehmen wird. Andererseits: Das hohe Gut der Selbständigkeit war nie kostbarer als gerade jetzt; mein Leben war immer da besonders erfüllt, wo sich der Mut zur Selbständigkeit in Gemeinschaft mit anderen zu gelingender Arbeit verband.
Schreiben im Winter – in der Hoffnung, dass da noch ein paar Takte zum Mitsingen und Mittanzen in den nächsten Frühling herauskommen.

Lang, kurz? Kurz? Lang?

Blick vom Turm

Blick vom Turm

Das Bild vom 2. Dezember zeigt die Täler des Schwarzwalds im Nebel; der Schnee ist dort längst geschmolzen. Die Haselnussblüten und Weidenkätzchen zeigen sich in Vorfrühlingslaune. War’s das mit dem Winter?In den vergangenen Jahren konnte ich mich auf diese natürlichen Langzeitprognosen verlassen: im Dezember 2009 war von den beiden vorwitzigen Blühern nichts zu sehen, Eis und Schnee dauerten wirklich bis zum April.Weihnachtswunsch: mögen sie Recht behalten und den Schneeglöckchen zuwinken: „Ende Januar dürft ihr das Winterende einläuten!“

Echte Raketen – echter Schirm?

Schirmherren im "Spiegel"

Der „Spiegel“ meldet, dass die Russen nun gemeinsam mit der NATO unter den ganz großen Raketenschirm schlüpfen wollen. Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht?
Wir wollen hoffen, dass für dieses teure Stück Technik gilt, was auch ein Schirm vom billigen Jakob leistet: Wenn man ihn bei sich hat, regnet’s erst gar nicht.

Interview am Startplatz

Interview am Startplatz

Interview am Startplatz

Lilian Klement hat mich anlässlich der Buchpremiere von „Babels Berg“ auch zum dritten Teil der Trilogie befragt. Am 4.11. erschien das Gespräch in der Regionalen Zeitung; nebenbei erfuhr ich, dass drei Verkaufstage genügt hatten, „Babels Berg“ zum Bestseller im Oktober zu machen. Großes Dankeschön an meine Verleger Hans Jürgen und Bastian Salier und an die Buchhändler-Familie Waniek.

Winterlicht und Sommertraum

"Chrysanthemen steh'n und frieren ..." (Erich Kästner)

"Chrysanthemen steh'n und frieren ..." (Erich Kästner)


Auf einmal ist da dieses besondere Licht.
Wir haben etwas zu lange geschlafen heute morgen – vielleicht hat dieses Licht schon die Träume verwandelt, sie trugen mich jedenfalls in die seltsamsten menschlichen Ansiedlungen. „Balkan“ ist ein Gedankenkommentar, dort finden sich Häuser zwischen grünen Hügeln, die sich ein Hundertwasser phantastischer nicht hätte ausdenken können: windschief, wie ineinander gewachsen, überwuchert von Moosen und Sträuchern, einige mit offenen Seitenwänden – der Blick auf ein Prangerritual liegt frei: Einem jungen Menschen, nicht erkennbar ob Mann oder Frau, wird ein Kübel Mehl über den Kopf gekippt, Gejohle ist sicht- aber nicht hörbar, auch scheint der Bepuderte nicht zu leiden, schüttelt sich nur.
Schon wandert der Blick weiter in ein Straßen- und Wegelabyrinth, irgendwo muss mein Motorrad stehen, verzweifelt suche ich nach dem Zündschlüssel, denke aber dann beruhigt, dass die gute alte ES auch mit einem Schraubenzieher zu starten sein wird …
Wird man je aus den Träumen Filme extrahieren können? Nein. Höchstens allerlei Signalsalat, so wenig detailgenau wie eine Beschreibung des Traums aus dem Erinnern. „Strange Days“ bleibt eine – nicht wenig beunruhigende – Utopie.