Romeo lässt bluten

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Die Recherche zum Roman führte mich auch zur Website der Stasi-Insider, also ehemaliger vor allem hauptamtlicher Mitarbeiter von Erich Mielkes Liebesministerium, wo natürlich viele, viele Texte mit Rechtfertigungen des Musters „andere Geheimdienste sind auch nicht zimperlich … (dabei aber viel weniger erfolgreich)“ zur „kritischen Aneignung der Geschichte des MfS“ eingestellt werden. Abgesehen von dem Umstand, dass noch kein Gericht der Welt einen Mörder freigesprochen hat, nur weil er auf andere Mörder mit Fingern zeigte: Ein wesentlicher Unterschied zwischen DäDäÄrr und Demokratie liegt nun einmal darin, dass hier auch die schäbigsten Spitzel und Menschenschinder vom MfS die Freiheit öffentlicher Meinungsäußerungen genießen.
Es liegt mir fern, den bisweilen durchscheinenden Stolz der Tschekisten auf ihre Heldentaten zensieren zu wollen. Hinweisen will ich aber doch auf ein Buch, das die Helden in ihrem unreigensten Fachgebiet erlebbar macht: der Menschenliebe. Da wo sie Romeo sein durften für einsame Frauen in den Vorzimmern Bonner Ministerien, Firmen, Organisationen. Geschrieben hat es Marianne Quoirin, es heißt „Agentinnen aus Liebe“; die Stasi-Insider fanden, dass es ein schlechtes Buch ist, ich nicht:

Wenn Leute mit der Ankündigung auftreten, sich um die Rettung der Welt, des Seelenlebens, des Klimas etc. bemühen zu wollen, reagiere ich mit äußerstem Argwohn. Noch größer wird dieser Argwohn, wenn Korporationen Vergleichbares ankündigen. In den vergangenen zweihundert Jahren kamen die schlimmsten Verbrechen, Grausamkeiten, Verblendungen Täuschungen, Verirrungen der Gattung fast immmer in der Gefolgschaft vorgeblicher Weltenretter.
Es gibt sie immer noch; Verantwortung für ihre Heldentaten lehnen sie ab, sie haben ja höheren Zielen gedient.
Dass auch die ganz persönlichen Katastrophen einer großen Zahl weiblicher Angestellter in wichtigen Positionen von Politik und Wirtschaft der alten Bundesrepublik, ihre ganz persönlich erlittenen Verblendungen und Grausamkeiten dem Selbstverständnis einschlägiger Helden kein Wort des Bedauerns wert sind, sollte eigentlich keinen mehr wundern, dachte ich.
Aber bei der Lektüre von “Agentinnen aus Liebe” wurde mein Wissen zumindest um wichtige Details aus der Tätigkeit von “Kundschaftern des Friedens” bereichert. Frau Quoirin hat gründlich recherchiert, beweist – wo es angebracht ist – Mitgefühl mit den von “Romeos” aus Erich Mielkes Liebesministerium Betrogenen, beschreibt ohne empörte Attitüde die ganze Schäbigkeit und menschliche Verwahrlosung des Systems, das letztlich ja an den Defekten seines Menschenbildes zugrunde ging. Deutlich wird auch, wie die organisierte Verantwortungslosigkeit, wie menschliche Defizite in Bonner Amtsstuben, wie kleinkarierte Erziehung und Kitschblüten in den Vorstellungen vom Zusammenleben die Ost-Casanovas begünstigten. Die Autorin hat keine große Literatur verfasst, aber einen hilfreichen Text gegen den Glauben an Weltenretter – nicht nur von Gnaden der Herren Mielke und Markus Wolf.

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