Biedermeier

“Franzosen und Russen gehört das Land

das Meer gehört den Briten

Wir Deutschen besitzen im Luftreich des Traums

die Herrschaft unbestritten.”

(Heinrich Heine)

August_von_Kotzebue

Auf diesem Bild ist nicht Heinrich Heine zu sehen, sondern ein anderer Dichter. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war er der bedeutendste Theaterautor, der meistgespielte, und das heißt nicht nur auf deutschen Bühnen, sondern in zahllosen Familien- und Amateuraufführungen. Das Medium Theater hatte noch keine Konkurrenz von Film und Fernsehen.

August von Kotzebue – das weiß noch jeder mit vollendeter Halbbildung – starb bei einem Attentat. Er galt vielen als Spion des russischen Zaren und Feind des neudeutschen Patriotismus. Er war keiner. Er war eher ein Anhänger des häuslichen Friedens und der moralimprägnierten Harmonie zwischen allen Völkern und Rassen.

Dem Attentäter war’s egal, er war jung, er sah sich im Besitz des höheren moralischen Auftrags, er war bewaffnet.

Man könnte sich in etwa vorstellen, dass Richard Gere von einem Al Qaida-Helden weggesprengt würde. Als Rache für Osama Bin Laden.

Seltsamerweise käme heute wie damals heraus, dass das Ergebnis für die vom Attentäter vertretene politische Richtung so nützlich ist, wie für den Fortschritt der Demokratie und Kultur insgesamt: verschärfte Sicherheitsgesetze, Generalverdacht gegen jede fremde Herkunft bzw. abweichende Meinung bei noch mehr Leuten; liberale und kritische Geister erfreuen sich des Misstrauens der Masse wie der Obrigkeit und der deutsche Michel richtet sich auf Jahrzehnte – just so wie im Biedermeier – in seiner Spießeridylle ein, von wo aus er dem Rest der Welt genauestens erklärt, dass freilich der Mord am Filmstar ein Ärgernis sei, der Ermordete aber durch sein buddhistisches Bekenntnis der Tat Vorschub geleistet habe. Der Islam sei einmal kriegerisch, die Amerikaner allgemein unbeliebt, nun möge man es gut sein lassen und künftig still und eingezogen leben, wie’s deutsche Art ist.

Die Ablehnung neuer Technologien war seinerzeit ebenso verbreitet wie heute bei einem großen Teil der Bevölkerung. Man muss leider sagen, dass geldgierige Unternehmer sich darum nicht scherten. Vor allem im Ausland nicht, das steckte einige vaterlandslose Gesellen an. Viele Juden übrigens. Die Deutschen fanden das umoralisch, führten einige Kriege, um die Welt an der deutschen Moral genesen zu lassen – anscheinend stecken ihnen die Niederlagen in den Knochen. Die Aufgaben werden nicht kleiner: die Chinesen müssen von ihrer Kernkraft abgebracht, die Amerikaner sowieso geläutert werden.

Vorwärts zur Sonne, zur Freiheit: von fossilen Energieträgern, AKW und amerikanischem Imperialismus! Klar! Aber wozu die moralisch sauberen Deutschen die Welt befreien wollen – zu welcher Art des Zusammenlebens – davor ist mir ziemlich unheimlich.

Gesichter

Kameliendame

Kameliendame


Wie Wolken wehen die Menschengesichter
An mir vorüber im Wind der Zeiten.
Und kehren wieder und schwinden als Blüten
Die mich durch Frühling und Sommer geleiten.
Und sind immer neu und sind schon vergangen
Und haben das Leben kaum angefangen.
Es brechen sie Tod, Frost, Krankheit und Hass.
Dahingetrieben von kurzem Verlangen
Verloren in Träumen von ewig und immer
Wollen sie besitzen – und da ist kein Verlass.
Verlass ist bei den flüchtigen Blicken
Beim Herzschlag und beim berauschenden Kuss
Beim Sternenflimmern und den Wellen im Fluss
Bei schmelzendem Schnee und verklungenen Musiken.
Glück wird nie sein und ist nie vorüber
Glück ist immer nur jetzt und hier
Deshalb bin ich, meine Liebste, so gerne bei dir
Und lass mich in deine Augen fallen.
Dein Gesicht ist das schönste von allen.

Von Menschen und Schneeflocken

Nebelleuchten

Eislicht am Merkurberg in Baden-Baden


Gedanken in Schneelandschaften – aus „Babels Berg“

Die Naturwissenschaftler der ruhmreichen Sowjetunion arbeiteten seit langem daran, das Wettergeschehen für die Planung verfügbar zu machen, aber sie hatten bisher ebenso wenig den passenden Regen für die Landwirtschaft wie die Sonne für die gewerkschaftseigenen Ferienorte beschafft. Wenn es ihnen gelänge, in frostiger Strömung aus Sibirien Eis und Schnee heranzuführen, wäre der Kalte Krieg gewonnen, die „Frontstadt Westberlin“ befriedet, der Schmerz, den dieser Pfahl im Fleisch des Arbeiter- und Bauern-Staates seinen Funktionären einbrannte, wäre gekühlt. Die westlichen Politiker würden dem geradeso gut tatenlos zusehen müssen wie dem Mauerbau. Sie würden Mitleid mit den frierenden Brüdern und Schwestern in der Ostzone haben; es war sicher kaum zu erwarten, dass das Eis sich genau an den Grenzverlauf hielte. Überhaupt existierte die planmäßige Wettergestaltung nur als Wunsch, Schneefeld geworden auf der Karte, und an diesem Tag begann es wieder einmal planlos auf alle Stadtteile zu schneien. … (wer mag, kann sich ab hier das Video anschauen…)

Gustav stellte fest, dass er viel zu leicht angezogen war. Er schlug den Kragen seiner Jacke hoch, trabte Richtung Staatsbibliothek.
Kurz vor der Kreuzung zu den „Linden“ fasste ihn ein Mann am Ärmel.
„Tschuldjung: Sie sinn doch aus’m Westen?“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Na, det sieht man doch, so wie Sie anjezoren sinn. Ick hätte da mal ne Bitte. Ick bin nämlich Nassrasierer, wissense, un hier im Osten kricht man einfach keene anständjen Klingen. Wennse mir nu mal ’n paar Westmark jeben könnten, denn könntick ma in’ Intershop’n paar Wilkinson koofen.“
Gustav war geschmeichelt, zuckte die Schultern und sagte:
„Tut mir leid, ich habe kein Kleingeld.“
„Na det macht doch nüscht, ick jeb Ihn’ zweehundat Ost für fuffzich dee-emm.“
„Nein nein“, stotterte Gustav, „das möchte ich nicht.“
„Wat? Det is doch’n prima Jeschäft? Für det Jeld könnse hier ins Interhotel essen jehn vons feinste! Oda biste janich aus’n Westen? He, du Arschloch, vasuch det nich noch mal, mir hier anzuscheißen!“
Den Rest der Hasstirade verschluckte der Schnee, immer dichtere Flocken sammelten sich auf Gustavs Schopf, rannen ihm tauend übers Gesicht. Jede dieser Flocken verlor dabei ihre einzigartige Gestalt. Kein Meteorologe oder Physiker würde je eine Vorhersage über all die Milliarden Gestalten geben können, die in jedem Augenblick neu entstanden und nach kurzem Flug vergingen. Es war ebenso unmöglich, aus den Tropfen Auskünfte über die Form der geschmolzenen Kristalle zu erhalten. Und doch war jeder einzelne Kristall ein unverwechselbarer, unentbehrlicher Teil des Universums, das mit ihm jeden Moment neu erschaffen wurde.

Lang, kurz? Kurz? Lang?

Blick vom Turm

Blick vom Turm

Das Bild vom 2. Dezember zeigt die Täler des Schwarzwalds im Nebel; der Schnee ist dort längst geschmolzen. Die Haselnussblüten und Weidenkätzchen zeigen sich in Vorfrühlingslaune. War’s das mit dem Winter?In den vergangenen Jahren konnte ich mich auf diese natürlichen Langzeitprognosen verlassen: im Dezember 2009 war von den beiden vorwitzigen Blühern nichts zu sehen, Eis und Schnee dauerten wirklich bis zum April.Weihnachtswunsch: mögen sie Recht behalten und den Schneeglöckchen zuwinken: „Ende Januar dürft ihr das Winterende einläuten!“

Morgenland

Blick aus dem Dachfenster

Nicht die Sonne wandert, wir tun’s

Wie schön wir leben: Mit einem Blick aus dem Fenster wie diesem, mit einem leckeren Frühstück im Bauch: chinesischer Nudelsuppe, Schweizer Käse zum frischen Walnussbrot, feinem Tee mit Osmathusblüten.
Draußen im verschneiten Garten steckt ein Rotkehlchen mit schierer Lebensfreude an, morgen beginnt der Advent.
Solche Blicke aus dem Fenster hatte ich schon als Kind; dass ich am anderen Ende des Lebens die gleichen Freuden und Schönheiten mit einem liebsten Menschen aus China teilen würde, hätte ich mir buchstäblich nicht träumen lassen, obwohl das Buch aus Kindertagen mit dem gelben Leineneinband immer noch im Schrank steht: chinesische Märchen.
Und während Shi Qin mit ihrem Bruder in Nanking telefoniert, wo’s schon Abend ist, noch ziemlich warm, verstehe ich die lange Wanderung, die wir mit der Erde unter der Sonne vorbeidrehend seit den Kindertagen zurückgelegt haben, und ich verstehe, dass die Zeit unteilbar ist.

Winterlicht und Sommertraum

Erster Schnee - gestreutes Licht

Auf einmal ist da dieses besondere Licht.
Wir haben etwas zu lange geschlafen heute morgen – vielleicht hat dieses Licht schon die Träume verwandelt, sie trugen mich jedenfalls in die seltsamsten menschlichen Ansiedlungen. „Balkan“ ist ein Gedankenkommentar, dort finden sich Häuser zwischen grünen Hügeln, die sich ein Hundertwasser phantastischer nicht hätte ausdenken können: windschief, wie ineinander gewachsen, überwuchert von Moosen und Sträuchern, einige mit offenen Seitenwänden – der Blick auf ein Prangerritual liegt frei: Einem jungen Menschen, nicht erkennbar ob Mann oder Frau, wird ein Kübel Mehl über den Kopf gekippt, Gejohle ist sicht- aber nicht hörbar, auch scheint der Bepuderte nicht zu leiden, schüttelt sich nur.
Schon wandert der Blick weiter in ein Straßen- und Wegelabyrinth, irgendwo muss mein Motorrad stehen, verzweifelt suche ich nach dem Zündschlüssel, denke aber dann beruhigt, dass die gute alte ES auch mit einem Schraubenzieher zu starten sein wird …
Wird man je aus den Träumen Filme extrahieren können? Nein. Höchstens allerlei Signalsalat, so wenig detailgenau wie eine Beschreibung des Traums aus dem Erinnern. „Strange Days“ bleibt eine – nicht wenig beunruhigende – Utopie.

Megaschirm?

Schirmherren im "Spiegel"

Der „Spiegel“ meldet, dass die Russen nun gemeinsam mit der NATO unter den ganz großen Raketenschirm schlüpfen wollen. Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht?
Wir wollen hoffen, dass für dieses teure Stück Technik gilt, was auch ein Schirm vom billigen Jakob leistet: Wenn man ihn bei sich hat, regnet’s erst gar nicht.

Vom tiefen Atmen

Blick auf Baden-Baden vom Annaberg

Welche Lust ... den Atem frei zu heben!


Am Mittwochabend stellte sich der Baldreit-Stipendiat Catalin Dorian Florescu den Baden-Badenern im Spiegelfoyer des Theaters vor. Sympathien erwarb er sich vor allem durch seine ehrliche und unprätentiöse Art, von der Arbeit des Schreibens zu sprechen, von der „Selbstbeauftragung“ als Risiko und Privileg eines Da-Seins, das nicht fremden Zielen nachjagen muss, sondern sich der eigenen Bestimmung in der Welt zu vergewissern sucht, indem es sich intensivstem Erleben mit anderen Menschen ausliefert.
Als Anlass fürs Nachdenken über den Beruf reichte ein wackeliger Tisch.
„Mein Tisch wackelt eigentlich immer“, meinte Catalin. Dass das Vertrauen auf vermeintlich sicheren Boden unter den Füßen sich selten einstellen will, ist eine für Autoren so alltägliche wie unerlässliche Erfahrung: die Angst, dem Anspruch ans Schreiben nicht zu genügen, das Publikum nicht zu erreichen, ist immer da. Dass nur wenige Schriftsteller von ihrer Arbeit auskömmlich leben – es sind nicht einmal die Besten – hat aber Catalins Entscheidungen zum Schreiben ebensowenig infrage gestellt wie meine.
Der gebürtige Rumäne und der Thüringer teilen – trotz des Altersunterschiedes von 17 Jahren – noch eine spezielle Ansicht: die Verantwortung fürs eigene Denken und Tun lassen wir uns von totalitärer Staatsgewalt so wenig nehmen wie vom Konformitätsdruck des Quotenwahns.
Dafür durfte ich heute wieder für zwei Stunden einfach um die Bäderstadt herumwandern, tief Luft holen und mich daran freuen, wie sogar der November schön ist.

Interview am Startplatz

Interview in "Freies Wort" - zum Lesen anklicken

Interview in "Freies Wort" - zum Lesen anklicken

Lilian Klement hat mich anlässlich der Buchpremiere von „Babels Berg“ auch zum dritten Teil der Trilogie befragt. Am 4.11. erschien das Gespräch in der Regionalen Zeitung; nebenbei erfuhr ich, dass drei Verkaufstage genügt hatten, „Babels Berg“ zum Bestseller im Oktober zu machen. Großes Dankeschön an meine Verleger Hans Jürgen und Bastian Salier und an die Buchhändler-Familie Waniek.

Die Qualen der Exzellenz

Rosarose

Rosen, Tulpen, Nelken ...

Immer mal wieder ruft mich ein Stammtischbruder der 70er Jahre an, ein schon damals graumelierter Mann mit seriöser Ausstrahlung, von dem viele meinten, er habe es bis zum Offizier im besonderen Einsatz des Ministeriums für Staatssicherheit gebracht. Um als “Romeo” in Bundesministerien in Bonn oder in NATO-Generalstäben Sekretärinnen einzuwickeln, war er wohl seinerzeit schon zu bequem oder trank etwas zu viel, einerlei: Seine Erfolge bei anlehnungsbedürftigen Frauen mittleren Alters konnten sich sehen lassen.

Ausgerechnet eine seiner Gespielinnen von ehedem behauptet hartnäckig, der Typ sei verlogen bis in die letzte Windung seiner Epididymis (sie drückte sich derart unflätig aus, dass ich das Originalzitat etwas abwandle), er habe heute noch Angst davor, dass aus den Säcken mit Geschreddertem oder Zerrissenem im Bestand der Behörde sich eines Tages seine Missetaten zusammen puzzeln ließen. Ich mag das nicht glauben. Seine Erkundigungen über mein Wohlbefinden erscheinen allerdings in einem etwas seltsamen Licht, denn sie häufen sich, seit ich in der DäDäÄrr Erlebtes in Romanform publiziere. Möchte er sich davon überzeugen, dass anhaltendes Lebensglück die Folgen seinerzeitiger Denunziationen und Zersetzungsmaßnahmen ausgeglichen hat, dass seine Beteiligung an einem diesbezüglichen “Operativen Vorgang” in den Fluten des Styx versunken und er damit entschuldigt ist?

Was meine Zweifel nährt ist, dass er immer wieder einmal darauf zu sprechen kommt, ich sei ja zeitweise ein strammer Parteigänger gewesen (was nicht stimmt; Hierarchen, selbst Werbern der SED war ich ebenso tief zuwider, wie sie mir), ich habe ihn sogar in Diskussionen links überholt. Das stimmt allerdings. Meine Konflikte mit der Sozialistischen Einheitspartei und ihren Helden an der unsichtbaren Front der ideologischen Subversion beruhten wesentlich darauf, dass dä DäDäÄrr mit einer Entwicklung zur “Freien Assoziation emanzipierter Individuen” – von Marxengels im “Kommunistischen Manifest” ersehnt – so viel zu tun hatte, wie Erich Mielkes Menschenliebe mit Mutter Teresa. Na ja; ich hatte eine Menge Illusionen darüber, wie viel ich in diesem Staat durch selbstausbeuterische Arbeit an den Theatern in Richtung freier Individuen würde bewegen können. Am Ende war ich froh, nach ein paar Jahren als Hilfskellner in den Westen zu entkommen, ohne in Zellen von Hohenschönhausen, Bautzen oder sonstwo als Devisenbringer der Firma “Kommerzielle Koordinierung des Menschenhandels” zwischengelagert zu werden. Mein Stasi bei der Innenbehörde gab mir, als ich nach vier trostlosen Wartejahren gehen durfte, mit auf den Weg, ich werde mich, als Arbeitsloser am Hamburger Hafen sitzend, noch zurücksehnen in dä DäDäÄrr, aber darin irrte er. Im Frühling 1989 saß ich “arbeitslos” am Hamburger Hafen, es ging mir prächtig, meine Sehnsucht entsprach der nach einer Leberzirrhose.

Mein Stammtischbruder kam wenig später ebenfalls im Westen an. Dank seiner technischen Qualifikation fand er binnen kurzem eine Arbeit, seine Tätigkeiten im Osten spielten keine Rolle, lange Zeit hörte ich nichts von ihm. Mir wäre nie eingefallen, den Kontakt von einst wieder zu beleben; weder zog es mich zu den Stammtischbrüdern, noch trieb mich der Wunsch, einstigen Denunzianten und “Zersetzungsbeauftragten” auf die Spur zu kommen. Dazu gab es viel zu viele Konflikte im Westen, die zu erkennen und womöglich zu lösen mir als sinnvoll erschien. Insofern geriet ich niemals in Gefahr, arbeitslos zu werden, auch wenn allfällige Anstellungen nicht lange währten. Sie dauerten genau so lange, wie sie es verdienten. Das war zwar ein Dilemma für den Verdienst, füllte aber mein Leben mit sehr viel sinnvollen, lehr- und erfolgreichen Unternehmungen. Ich lernte großartige Menschen kennen, und die Frauen meines Lebens hinderten mich daran, größenwahnsinnig zu werden.

Jetzt, kurz bevor mein zweiter Roman seine Premiere feiert, meldete sich mein – inzwischen längst pensionierter und ganz silberweißer – Gefährte wieder, um von den geplanten Lesungen ins Vergangene abzuschweifen. Tat er es, um herauszuhören, wie viel von seiner Verstrickung ich herausgefunden hatte, recherchiert in den Akten der Behörde, hernach verwandelt, literarisch zur Kenntlichkeit entstellt? Quälten ihn um dessentwillen Ängste? Oder suchte er immer noch nach dem in jenen Jahren greifbaren, dann ausgebliebenen Erfolg: den Jüngeren, Freizügigen, Mutwilligen in der Tiefe mit dem Keim der Zersetzung infiziert zu haben, der ihm zwanzig Jahre später, da seine Bücher allesamt kaum gelesen werden, das Dasein zur Hölle macht, die Prophezeiung von der Erfolglosigkeit im Westen erfüllend, den seelischen Krebs der Depression nährend wie einst in der DäDäÄrr? Auch die Geheimdienstspezialisten des Westens bescheinigen solchen Zersetzungsplänen der Mielke-Armee psychologische Exzellenz.

Diese Exzellenz der zu höheren Zwecken berufenen Angestellten und ihre Qual, nicht ans Ziel zu gelangen, werde ich allerdings nie verstehen. Aufrichtig gesprochen: es regt sich kein Mitleid. Es wäre auch unsinnig. Womöglich sehe ich Gespenster, und der Mann war lebenslang ein harmloser Mitläufer. Woran es nur liegen mag, dass mich das überhaupt nicht beruhigt?