Als Gabi ihre Tochter zum ersten Mal mit einer tanzenden Untertasse erwischte, nahm sie es von der heiteren Seite. Dass spielende Kinder Gegenstände zweckentfremdeten, war normal. Es war also auch normal, einen Teller auf den Rand zu stellen, ihn um die eigene Achse kreiseln zu lassen, zuzusehen, wie die Kreiselbewegung ins Schlingern kam, Frequenz und Geräusch sich steigerten, bis das Ding platt auf dem Boden lag. Sie fragte sich nur, wie Carla darauf gestoßen war: Sie selbst hatte ihr den Trick nie gezeigt. Er gehörte zur Vergangenheit, zu den Liebesnächten mit Anton, zum Aufstieg in den Spitzenkader des DDR-Sports, zum Absturz ins Leben als Geschiedener mit Kind. Sie hatte nie mehr versucht, ihre besondere Gabe beim Umgang mit rotierenden Scheiben wiederzufinden. Im Augenblick, da die Rotation von Carlas Untertasse auf dem Küchentisch erstarb, fiel ihr ein, dass gerade zehn Jahre seit jener Nacht im Studentenheim vergangen waren, in der sie über sich hinausgewachsen, in deren Folge sie vom Physiker Fürbringer erobert worden war. Hatte Anton der Tochter irgendwann gezeigt, was sie mit Tellern, Münzen, jeder Art Scheiben anstellen konnte?
„Hast du das im Hort gelernt?“
„Nö, das konnte ich schon immer.“