Startup in Freiheit und Absturz der Lügner (Schluss)

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Stasi und KSZEDas KSZE-Nachfolgetreffen in Madrid war noch beeinträchtigt vom Afghanistan-Krieg und dem NATO-Doppelbeschluss. Aber seit 1984 wurde in Stockholm über „Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen” verhandelt (VSBM), und politisch verbindliche Zugeständnisse – vor allem im Militärischen – begünstigten die Vorbereitungen zur nächsten KSZE-Konferenz in Wien. Diese letzten Kapitel von “Staatssicherheit und KSZE-Prozess” sind gewiss die aufregendsten. Denn als im März 1985 Michail Sergejewtisch Gorbatschow an die Spitze der KPdSU rückte, wendete sich das Geschehen zwar nicht sofort, aber je weiter er seine Reformen gegen den Widerstand im Apparat – nicht zuletzt des KGB – durchsetzen konnte, desto dynamischer verliefen auch die Prozesse der Entspannung. Die SED und ihre Stasi waren ratlos. International sahen sie sich zunehmend isoliert, im Inneren wuchs der Widerstand parallel zur Zahl der Ausreiseersuchen.

Selvage und Süß zeichnen in vielen Facetten jene Erstarrung der DDR-Institutionen, die den Sturz von Honecker, Mielke, Krenz, den Fall der Mauer und das Ende der DDR herbeiführte. Ein Blick auf die personelle Struktur der DDR-Delegationen, auf den Mangel an Entscheidungsfähigkeit jenseits der von “ganz oben” verordneten Direktiven, die piefige und duckmäuserische Subalternität, die sich in der Figur Mielkes manifestiert, beweist: Diese Hierarchien der organisierten Verantwortungslosigkeit waren schlechterdings nicht lernfähig. Dass sich sogar innerhalb des Apparates – etwa an der Stasi-Hochschule in Potsdam – kritische Stimmen regten, blieb einfach unbeachtet.

So bildeten sich letztlich auch in der DDR oppositionelle Gruppen, die sich mit tschechischen (“Charta 77”), polnischen, westeuropäischen vernetzten. Die Stasi konnte zwar noch Druck ausüben, dass sie bekannt wurden, war in den 80er Jahren längst nicht mehr zu kontrollieren. In Schwedt an der Oder – außerhalb des Empfangsbereichs der Westberliner Sender – ließ die Kreisleitung der SED in neugebauten Wohnblocks sogar Kabelfernsehen installieren, “Feindsender” inklusive, um qualifizierte Arbeitskräfte für das Petrolchemische Kombinat anzulocken.

TitelVon dort stammen die letzten auffindbaren Akten meiner Karriere als “feindlich-negative Person”. Beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) fand sich nichts aus den Jahren 1983 bis 89, alles spricht dafür, dass sie mit dem Gros der Unterlagen bei der “Hauptabteilung Aufklärung” vernichtet wurden, denn spätestens mit meiner Ausreise wurde ich wegen meiner Kontakte in die Bundesrepublik zur Zielperson für die HVA.

Die bis 1987 von Markus Wolf geführte Auslandsorganisation war – vielleicht als einzige – imstande, einen “Plan B” für einen eventuellen Machtwechsel zu erstellen, und die Verbindungen zum KGB rissen nicht ab. Kräften, die von sozialistischen Ideen zur Weltverbesserung nicht lassen mochten, erschlossen die globalen Entwicklungen seit 1990 viel Raum, neue Formen der Organisation und Einflussnahme auf Wirtschaft und Regierungen. China und Russland haben gelernt, und was dort an Überwachung und Verfolgung auf oppositionelle wartet, ist kaum vorstellbar. Und wie steht es bei uns mit den Bürgerrechten, die im KSZE-Prozess dem sozialistischen Lager abgetrotzt wurden?

Brauchen mehr oder weniger sozialistische Parteien in Europa nur deshalb keinen offiziellen Staatsfunk, keine “Presseorgane” und keine Stasi mehr, weil sie sich auf einen wohligen Konformismus verlassen können, der nicht mehr wahrnimmt, wie Freiheiten und Rechte des Einzelnen von etatistischen und korporativen Übergriffen paralysiert werden? In den nicht selten aus Steuern finanzierten “NGO” finden sich reichlich Partner für Kollektivintereressen aller Art. Es entstehen die seltsamsten Bündnisse zur informellen und materiellen Machtübernahme. In den Medien gilt es als ehrenhaft, sich selbst zum Moralapostel und Schallverstärker politischer Strömungen zu erheben, abweichende Meinungen zu schmähen und einer Zensur das Wort zu reden, die jeweils den anderen trifft. Worte wie „durchregieren“ und „alternativlos“ machen Karriere, als deuteten sie nicht auf oligarchische, gar totalitäre Absichten.

Was die KSZE, was Politiker von Format wie Willy Brandt, Egon Bahr, Hans-Dietrich Genscher, Helmut Schmidt, Gorbatschow, Schewardnadse und Dissidenten wie Sacharow, Vaclav Havel, Lech Walesa erreichten, ist erstaunlich. Aber alle Konflikte, die auszutragen waren, um Rechte des Einzelnen gegenüber dem Staat verpflichtend festzuschreiben, sind  heute weltweit nur in wenigen Regionen lösbar. Und so viel belegt dieses lesenswerte und als Quelle unschätzbare Buch: Jede Politbürokratie, sei es die von Regierenden oder NGO, versagt an dieser Aufgabe so jämmerlich wie das „moralisch bessere Deutschland“ von Erich & Erich.

Startup in Freiheit und Absturz der Lügner (3)

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Die Kapitel 5 bis 7 in “Staatssicherheit und KSZE-Prozess” arbeiten detailreich diplomatische Grabenkämpfe während der Vorbereitung und im Verlauf der Konferenzen in Belgrad und Madrid auf. In all den langwierigen Verhandlungen bleiben grundsätzliche Frontverläufe unverändert: Der Westen will mehr Reise- und Meinungsfreiheit heraushandeln, macht wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit von besserem Informationsaustausch, vor allem aber von der Behandlung oppositioneller Menschenrechtler, etwa des Atomphysikers Sacharow abhängig. Die UdSSR-Führung und die ihr gefügigen Vertreter der Staaten des “Warschauer Vertrages” zielen auf Abrüstungs- und Entspannungspolitik. Sie soll die konventionelle und nukleare Überlegenheit des Ostblocks ebenso festschreiben , wie die politischen Dominanzen mindestens in Europa. Langfristig soll der Sozialismus seinen Siegeszug in der Welt fortsetzen – etwa indem die “jungen Nationalstaaten” Afrikas einbezogen werden.

Die Stasi war dabei vor allem Dienstleister. Sie war personell in den Delegationen der DDR stark vertreten, sorgte mit Hilfe hochrangiger Quellen im Westen dafür, dass dessen Standpunkte, Ziele und Absprachen bekannt und einzuordnen waren, infiltrierte und beeinflusste westliche Friedensbewegungen dahingehend, die Überlegenheit der konventionellen und nuklearen Bewaffnung des Warschauer Paktes zu ignorieren. DDR-Bürgern suggerierte die Propaganda derweil vom Kindergarten an, es gäbe „gute“ eigene und „böse“ Nuklearwaffen des Klassenfeindes. Insbesondere die Debatte um die „Neutronenbombe“ war auszuschlachten. Nebeneffekt im Westen: „Strahlungsrisiken“ friedlicher Nutzung der Kernkraft wurden zur ideologische Waffe der Atomkraftgegner in NGO und bei den „Grünen“. Der „Atomstaat“ passte in die östliche Gegenoffensive, wenn um Menschenrechte gestritten wurde, ebenso wie Frauenrechte, Arbeitslosigkeit und die Ausbeutung von Gastarbeitern. Sogar NATO-Generäle ließen sich einspannen für Friedensinitiativen samt Stasi-gesteuerten, publikumswirksamen Kampagnen.

Eher unerwünscht für SED und Stasi: Auch in der DDR erstarkte eine unabhängige Friedensbewegung, die mit dem Emblem „Schwerter zu Pflugscharen“ Abrüstung einforderte – vor allem die der lange vor dem „NATO-Doppelbeschluss“  im Osten stationierten Mittelstreckenraketen. Obendrein protestierte sie gegen gegen die Militarisierung in Schulen und anderen gesellschaftlichen Bereichen. Erich Mielkes Apparat hatte alle Hände voll zu tun, auch meine Akte als „feindlich-negative Person“ wuchs wegen „pazfistischer Tendenzen“ kräftig.

Das Schlussdokument des Treffens von Madrid 1983 zeigt gleichwohl die in wenigen Jahren zuungunsten des Ostens verschobenen Kräfteverhältnisse. Die Versuche, einen Keil zwischen die USA und die westeuropäischen Staaten zu treiben, brachten wenig, am Ende blieb ein von den neutralen und nicht-paktgebundenen Staaten (N+N) eingebrachter, von Spanien ergänzter Kompromiss, bei dem die UdSSR und ihre Verbündeten Zugeständnisse in Menschenrechtsfragen machten: Wegen der Ausgaben für Bewaffnung und die Engagements in Afghanistan und Afrika brach ihre Wirtschaft ein. Die Konferenzen zur Abrüstung und Entspannung durfte man nicht gefährden.

KPTreffen1976

Danach gingen die „Eurokommunisten“ von der Fahne

Die Lage war anders als noch 1974: In Portugal wurde damals die Diktatur von einem Militärputsch ab- und das Kolonialreich aufgelöst, bald darauf ging nach dem Tode Francos auch in Spanien die Macht in neue Hände über. Gleichzeitig gewannen sozialistische und kommunistische Strömungen in Westeuropa an Attraktivität. Ein hochrangiger SED-Funktionär aus der “Zentralverwaltung für Statistik”, mit dem ich im “Mocca-Eck” seines Amtsgebäudes saß, fragte mich, ob nicht vielleicht Portugal bald zu den “Warschauer Staaten” gehören werde. Ich wunderte mich über soviel Optimismus, denn die “Eurokommunisten” waren zur KPdSU auf  Distanz, genossen Sympathien, weil sie die Militärinvasion gegen den “Prager Frühling” verurteilt hatten. Portugal war Gründungsmitglied der NATO seit 1949, ich konnte mir nicht vorstellen, dass selbst der niedrigste Lebensstandard einen Portugiesen dazu treiben würde, jene Freiheiten aufzugeben, die ihm just mit dem Sieg über eine jahrzehntelange Diktatur zugefallen waren. Mein Gesprächspartner lachte mich aus.

Ende der 70er Jahre war seine Zuversicht durch katastrophale Wirtschaftsdaten merklich angeschlagen – wenn er auch nicht offen darüber sprechen durfte. Aber im “Mocca-Eck” wurde statt Bohnenkaffee “Mocca-Fix”, ein Gemisch mit Kaffee-Ersatz gebrüht. Devisen waren knapp, also auch Importgüter wie Kaffee, die Lage der DDR wurde immer prekärer. Die Bevölkerung war dank Westfernsehen und Besuchsreisen von Freunden und Verwandten über die Standards ihrer bundesdeutschen Landsleute auf dem Laufenden. Das Kaffee-Problem schaffte besondere Unruhe. Ein Militärputsch in Äthiopien kam zu Hilfe: Die DDR lieferte dem blutigen Diktator Mengistu Haile Mariam Waffen und bekam Kaffee. “Blaue gegen rote Bohnen” hieß das Geschäft bei Insidern.

Unterdessen bestätigten sich die größten Befürchtungen von SED und Stasi bezüglich des KSZE-Prozesses: Die “Ausreisebewegung” schwoll an, war auch mit rigiden Maßnahmen nur vorübergehend einzudämmen.

Hier entstanden Konflikte zur KPdSU-Führung. Sie wollte Zugeständnisse zum “Korb 3” der Verträge, also “menschlichen Erleichterungen” wie etwa Ehen mit Ausländern aus dem “NSW” (dem nicht-sozialistischen Währungsgebiet”) machen, um beim Thema Abrüstung und „vertrauensbildende Maßnahmen“ voranzukommen. Andererseits missfielen ihr innerdeutsche Annäherungen. Wachsender Reiseverkehr, Milliardenkredite aus Bonn – vermittelt durch Franz-Josef Strauß – das war nicht nach dem Geschmack von Breshnew und seinem Nachfolger Andropow, dem vormaligen Chef des KGB. Douglas Selvage und Walter Süß gehen solchen komplizierten Spannungen in vielen Details nach. Für den Zeitzeugen werden die Atmosphäre der Verhandlungen und die Geschehnisse jener Zeit noch einmal erlebbar.

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Startup in Freiheit und Absturz der Lügner (2)

Stasi und KSZE

Der politische Kontext zum „Raketenschirm“

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1972 befreundete ich mich als Physikstudent an der Humboldt-Universität mit einem Journalisten aus Westberlin. Dank der Ostverträge und Verhandlungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik durfte er – wie viele andere Besucher aus dem Westen – in die “Hauptstadt der DDR” einreisen, gegen Zahlung von Gebühren und Zwangsumtausch harter D-Mark in die Währung des “Arbeiter-und-Bauernstaates”. Im Freundes- und Bekanntenkreis mehrten sich solche Kontakte. Willy Brandt, Walter Scheel, Egon Bahr, Helmut Schmidt, Hans Dietrich Genscher hatten viele Sympathien, weil sie etwa den Verkehrs-, den Grundlagenvertrag sowie Fortschritte vor allem beim “Korb drei” des KSZE-Prozesses zustande brachten. Das bedeutete mehr Reisen, erleichterten Telefonverkehr, mehr Austausch von Meinungen und Waren. Dass Konservative in Bonn gegen eine solche “Politik der kleinen Schritte” opponierten, am damals illusorisch scheinenden Ziel deutschen Einheit festhielten, verstanden wenige von uns. Westbesucher entdeckten sogar den “spröden Charme der DDR”, auch wenn sie keine in der Wolle gefärbten “Linken” waren.

Im 3. Kapitel von “Staatssicherheit und KSZE-Prozess” werden die Grundkonflikte jener Jahre zwischen Ost und West, aber auch Divergenzen etwa zwischen Helmut Schmidt und Jimmy Carter beschrieben. Vor allem ist erkennbar, dass Sicherheitsinteressen für die UdSSR der Ära Breshnew absoluten Vorrang hatten. Die “Breshnew-Doktrin” schloss jede noch so friedliche politische Änderung innerhalb der Länder des “Warschauer Paktes” aus, beschränkte rigide deren Souveränität. In der KSZE-Schlussakte von 1975 weist vor allem Abschnitt 1 Punkt 6 darauf hin. Jegliche Opposition im Innern war leichter zu ersticken, wenn vertraglich als “Einmischung in innere Angelegenheiten” ausgeschlossen war, sie aus dem Ausland zu unterstützen. “Nichteinmischung” ist bis heute eine Standardforderung von Diktaturen. Demokratien, die von politischen Veränderungen leben, müssen Versuche der “Einmischung” ausbalancieren – ebenso wie die widerstreitenden Interessen im Inneren. Breshnew, Chef der KPdSU, und die Führer der “Bruderparteien” waren aber vollkommen darauf fixiert, was die marxistisch-leninistische Doktrin vorsah: den weltweiten Sieg des Sozialismus-Kommunismus, und das bedeutete fortwährenden Kampf um die Deutungshoheit, besonders was die in Punkt 6 vereinbarte “Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Überzeugungsfreiheit” betraf.

Obwohl die Schlussakte  kein völkerrechtlich bindender Vertrag, sondern nur eine Selbstverpflichtung der Staaten war, musste sich deren Handeln daran messen lassen, ob und inwieweit sie ihr nachkamen. Auf dem Schlachtfeld der Ideen und Deutungen verschärfte sich, was in der Sprache der SED “ideologischer Klassenkampf” hieß. Da sich Informationen via Radio und Fernsehen kaum mehr von Mauern und Grenzzäunen aufhalten ließen, mussten in der DDR also Maßnahmen gegen “Einmischung” und “ideologische Diversion” ergriffen werden, denn die Helsinki-Aktivitäten stärkten auch Aktivitäten von Dissidenten, die Rechte und Freiheiten aus der Schlussakte einforderten. In der DDR gab es keine Gruppen wie etwa in Polen und der CSSR mit der berühmten „Charta 77“. Hier wurden Ausreisewillige zum Problem, die sich ab 1975 auf Helsinki beriefen. Davon handelt Kapitel 4 des Buches.

Das besondere Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten führte andauernd zu Konflikten um die Frage der Staatsbürgerschaft: Die SED wollte eine volle völkerrechtliche Anerkennung durch möglichst viele Länder erreichen, inklusive Botschafteraustausch und besonderer Staatsbürgerschaft der DDR, während die Bundesregierung mittels besonderer Klauseln die Chance auf eine Wiedervereinigung zu erhalten suchte und jedem DDR-Bürger zugestand, die bundesdeutsche Staatsbürgerschaft zu beanspruchen, wenn er die DDR verließ. Zwischen DDR und Bundesrepublik gab es deshalb keinen Botschafteraustausch, sondern ab 1974 nur „Ständige Vertretungen“ in Bonn bzw. Ostberlin. Letztere war auch für die – nach Helsinki – mögliche Betreuung westdeutscher Journalisten in der DDR zuständig. In solchen Zugeständnissen an den stärkeren Austausch von Menschen und Meinungen sah die SED-Führung ebenso wie die KPdSU eine wachsende Gefahr. Erich Mielkes Organisation wurde personell und technisch massiv aufgerüstet.

immo72Beim Physikstudenten im Prenzlauer Berg läuteten zwei Herren in gleichen Mänteln an der Tür, sie stellten sich als Vertreter eines Wirtschaftsverlages vor. Er bat sie herein, servierte vom Westberliner Freund mitgebrachten Earl Grey und harrte mit weichen Knien und flauer Magengrube der Dinge, die kommen sollten. Einer der beiden, etwa 40, trug eine Hornbrille, hatte sein schütteres, ergrauendes Blond nach hinten gekämmt und erklärte mir, dass ich ihnen als besonders begabter, interessierter Student bekannt sei, fragte, wie um meine Fortschritte stünde. Das verschaffte mir Luft, ich konnte allerlei daher schwätzen und mich freuen, dass ihnen der Tee offenbar nicht besonders schmeckte. Freilich kamen sie alsbald auf meinen Freund zu sprechen, mit dem sie gern ins Gespräch kämen, denn der sei ja Journalist, und sie seien gerade mit einem Bericht über wirtschaftliche Zusammenhänge des Pressewesens in Westberlin befasst. Sie wüssten es sehr zu schätzen, wenn ich den Kontakt herstellte. Ob ich vielleicht die Telefonnummer…?

Es gelang mir, sie zu mit dem Versprechen zu vertrösten, mich alsbald bei der von ihnen genannten Rufnummer zu melden, ich wolle nur zuvor das Einverständnis meines Freundes einholen. Dann tat ich zweierlei: Ich redete mit dem Westberliner und erzählte die Geschichte brühwarm beim nächsten Stammtisch in den “Offenbach Stuben”, einem beliebten Szenelokal. Weshalb ich das erwähne? Weil jeder, sofern nicht als Kind mit dem Klammerbeutel gepudert, auf derlei Besuche gefasst war. Ganz sicher, wenn er Westkontakte hatte. Er war ebenso darauf gefasst, dass am Stammtisch höchst wahrscheinlich mindestens ein Zuträger der Stasi saß. Wenn er Pech hatte, kamen die Mäntel dann nicht mehr zu Besuch, sie bestellten ihn ein. Ich hatte Glück, sie hielten nur weiterhin mein Tun und Lassen in meiner Akte fest, markiert mit “potentieller Unterstützer des Feindes” und “feindlich-negatives Element”. An eine Ausreise dachte ich zu jener Zeit längst noch nicht.

Was die großartige Arbeit von Douglas Selvage und Walter Süß nämlich nicht beschreiben kann – vielleicht weil solche Prozesse ihrem wissenschaftlichen Vorgehen nicht entsprechen – sind Gedanken, Strebungen, Handlungsimpulse, die bis heute noch dem raffiniertesten Geheimdienst entgehen. Sie können ansteckend sein. So ging es mir, vielen meiner Freunde und Kollegen – und in der Folge immer mehr DDR-Bürgern – mit dem „Ausreise-Fieber“. Spätestens im November 1976 wurde es epidemisch und war von noch so dramatischen Quarantänemaßnahmen der Stasi nur mehr vorübergehend einzudämmen. Was die Infektion stark begünstigte, weshalb die SED unfähig war, sie zu kurieren, mag (noch) keiner wissenschaftlichen Betrachtung zugänglich sein. Wir haben sie alle überstanden, die Arznei hieß Freiheit. Die DDR überlebte beides nicht.

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Startup in Freiheit und Absturz der Lügner (1)

DDR_EntlassungAm 16. März waren es genau 30 Jahre, dass ich der Fürsorge von SED und Stasi, von Erich & Erich entkam: Ich schleppte zwei Koffer und einen Rucksack durch die Katakomben des Grenzübergangs am Berliner Bahnhof Friedrichstraße und bestieg einen Schnellzug quer durch Mauern und Stacheldraht. Mein wichtigster Besitz: die Urkunde über die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR. Ich nahm die notwendigsten Habseligkeiten für die Reise zu meinem unbekannten Vater mit. Er hatte mitgeholfen, dass ich in die Freiheit entlassen wurde. “Familienzusammenführung“ hieß das offiziell, der Sohn war fast 39 Jahre alt, die Bundesrepublik zahlte der DDR dafür fast 100 Tausend D-Mark. Hinter mir lagen Jahre des Berufsverbots, mein neues Leben im Westen würde ich als Mr. Nobody beginnen, als einer von zahllosen Flüchtlingen.

“Wenn Sie in einem halben Jahr als Arbeitsloser am Hamburger Hafen sitzen”, gab mir ein betreuender Stasi mit auf den Weg, “werden Sie sich in die DDR zurücksehnen.” Tatsächlich saß ich dort schon einige Wochen später, “arbeitslos”, von Sehnsucht keine Spur, stattdessen mit der Erfahrung, dass manche bundesdeutschen Bürokraten meine Erinnerung an ihre Kollegen im Osten noch lange wach halten würden. Tief eingeprägt hat sich mir ein Behördenangestellter mit dem passenden Namen Gottesknecht. Er teilte das Urteil des Ostberliner Betreuers, meine Chancen betreffend, vollkommen. Im nachhinein war ich beiden dankbar: Sie hielten meinen Willen zur Freiheit und zum Widerstand gegen kollektivistische Weisheit wach. So durfte ich arbeiten, so entstanden meine Bücher.

Stasi und KSZEUnd nun kam mir in diesen Tagen – wie gerufen – aus dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht ein wissenschaftliches Werk ins Haus, gewichtig im doppelten Sinn. Es erhellt umfassend politische Hintergründe jener 20 Jahre, als die Mauer brüchig wurde, das Tor in die Freiheit sich endlich einen Spalt breit öffnete, Menschenströme es aufdrückten und die zunächst Zurückgebliebenen Mut fassten, Erich & Erich samt Politbürokraten nebst einem Heer von gefügigen Journalisten und “Kulturschaffenden” den roten Teppich unter den Füßen wegzuziehen. Im Vergleich zu den 40 Jahren der Existenz des „Arbeiter-und-Bauern-Staates“ war das wirklich so etwas wie ein historischer Ruck, dem der Sturz folgte. Aber er kam nicht von ungefähr.

Douglas Selvage und Walter Süß haben für die Abteilung Bildung und Forschung des BStU eine gewaltige Menge Quellen studiert und auf 761 Seiten ein Kompendium des Geschehens hinter den Kulissen der KSZE-Verhandlungen zwischen 1972 und 1989 geschaffen, das mich einsog wie der beste Thriller. Es beschäftigt mich immer noch, es wird eine Weile brauchen, bis alles genauer gelesen, verdaut und sortiert ist. Gleichwohl empfehle ich heute schon allen, die sich nicht nur von Berufs wegen für Vergangenheit und Zukunft unseres Landes, des Kontinents und der Beziehungen zu den Weltmächten USA und China interessieren, die Lektüre.

Dichter und aufregender kann einer sich seiner Erfahrungen nicht vergewissern, als beim Studieren der Korrelationen von selbst erlebten Konflikten, Hoffnungen, Niederlagen, Wendungen und denen der handelnden, ver-handelnden Personen in den damaligen politischen Lagern. Das beste: Er kann begreifen, weshalb die Selbstgewissen, vom Dogma Geblendeten, im Glauben an die eigene höhere Berufung scheitern, weil sie scheinbar Banales übersehen. All ihre taktischen und strategischen Machtroutinen erweisen sich als insuffizient gegenüber der Realität. Und das betrifft nicht nur den untergegangenen Sozialismus. Darum ist dieses Buch mehr wert als eine Rezension, es verdient jede Aufmerksamkeit. Ich werde mich bemühen, es in mehreren Artikeln vorzustellen.

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Fragen nach Sinn und Ziel

RaedernThetriumphofdeath_-_detailKrisenherde, Gewalttätigkeiten, Kriege und Massaker in „Failed States“ treiben Bilderwogen hoch, der politische Einfluss von Nationalstaaten aufs wirtschaftliche Geschehen schwindet, die #EU ist eher ein Sanierungsfall als gestaltende Kraft im globalen Geschehen. Vor der Bundestagswahl werfen sich Parteien in Pose, ihre Programme bestehen hauptsächlich aus Worthülsen. Um ihre Handlungsunfähigkeit auf den wesentlichen Feldern wie Energie-, Migrations-, Finanz-, Abrüstungspolitik zu kaschieren, füttern sie mit Steuergeldern Korporationen – darunter zahllose sogenannte NGO -, die sie folgerichtig als willige Helfer für den Machterhalt und Schutzschild gegen unerwünschte Kritik dienstbar machen.

Statt Konflikte zu benennen und nach Lösungen zu suchen, gebrauchen fast alle Protagonisten der Wahlkämpfe den dicken Zeigefinger, der immer auf die anderen weist, und gegenüber den Wählern die bevormundende Moralkeule in der Art von Aufklebern auf Tabakverpackungen (Tödlich! Gefährlich! Klimaschädlich! Arm- und krankmachend…!). Sie mobilisieren den Versicherungs- und Vermeidungsimpuls der Wähler. Selbständigen Handlungs- und Entscheidungswillen, Meinungsfreiheit und Verantwortungsbereitschaft bremsen solche Organisationen gern aus, denn sie dienen nicht ihrem wichtigsten Ziel: Selbsterhaltung – koste es das Gemeinwesen, was es wolle.

Schauen Sie sich daraufhin die vertrauten „Gestelle“ (die Bezeichnung weist aus, dass vor allem ihre An-Gestellten nutznießen) einmal an.kosmos_200

Wenn Sie sich für Zusammenhänge, Strukturen und Handlungsmuster interessieren, ihre eigene Position daraufhin befragen wollen, ob und wieviel sinnvolles und erfülltes Erleben sich damit verbindet, dann lesen Sie “Der menschliche Kosmos” einfach online – so viel Sie mögen – und stellen Sie Ihre Fragen.

„Der menschliche Kosmos“ ist nämlich Ihrer.