Per Achterbahn ins Nirgendwo?

KershawAchterbahn2dDieses Buch ist ein Solitär in der Vermittlung jüngerer europäischer Geschichte. Am Ehesten würde man ihm gerecht, wenn man es zum Ausgangspunkt möglichst vieler Debatten zwischen Generationen, Nationalitäten, politischen Einstellungen machte – eine Hoffnung, die in scharfem Kontrast zum herrschenden Geist in der Politik, in den Medien und leider auch zur mangelnden Sorgfalt in der Gestaltung von Schulbüchern und Lehrplänen steht.

Den Titel hat Ian Kershaw trefflich gewählt. Sowohl was das schwindelerregende Auf und Ab, das Tempo und die Rasanz anlangt, mit der seit 1950 Geschichte „erfahren“ wird, als auch die rasch wechselnden Perspektiven und atemberaubenden Momente nahe am Absturz: Der Zeitgenosse bestätigt ihm, dass er ihn zu einer großartigen Reise einlud. Sie führte durch erschreckende und bezaubernde Landschaften, lenkte den Blick auf unbekannte Details, schärfte das Gefühl für abrupte Wendungen. Sie ist noch nicht zu Ende.

Die Bibliographie belegt ein veritables Gebirge an Informationen, das Ian Kershaw durchforscht hat, er hat dort hinein klug die Trasse seiner Achterbahn konstruiert, er baut Ausblicke auf Krisen und Umbrüche, Personen und Parteien, Ökonomie, Politik und Kultur, auf Nationen, Europa und die Welt ein und setzt sie zueinander in Beziehung. So wird etwa das Panorama des Kalten Krieges zugleich breit und tiefenscharf. Beim Betrachten desselben ebenso wie beim Passieren von Abgründen möglicher nuklearer Konflikte oder des hochbrandenden Jubels nach dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs erlebte ich meine eigene Vergangenheit als sehr präsent – wie viel Glück ich hatte, dem DDR-Sozialismus zu entkommen! – und doch sehr, sehr fern. Das liegt wohl an der klaren, unverschnörkelten Sprache des Erzählers, sie ist frei von Effekten, aber keineswegs ermüdend. Dafür ist gewiss auch dem Übersetzer Klaus-Dieter Schmidt zu danken.

Freilich: Wer Höhen und Tiefen der Historie selbst “durchwandert” hat, schaut mit anderen Augen auf die Bilder dieser Berg- und Talfahrt als Jüngere. Ihnen mögen sie wie Kulissen erscheinen, die sich mit anderen Geschichtsbildern vergleichen lassen. Ian Kershaw verhehlt nicht, dass er seine Route durchs zurückliegende Jahrzehnt an offiziösen Sichtachsen ausrichtet. So erscheinen etwa Klimawandel und Energiepolitik in allzu bekanntem Ausschnitt. Der Sachverstand von Naturwissenschaftlern und Technikern (nicht einmal der des IPCC) blendet die Chancen der Nukleartechnik für eine gewünschte Begrenzung des Kohlendioxyds in der Atmosphäre längst nicht mehr aus. Kershaw verweilt dagegen beim populistischen Ruf nach “Atomausstieg” – wegen der in Tschernobyl und Fukushima offenbarten Gefahren dieser Technik. Aber wenn dieser Ruf auch ein langes Echo hat: Der vermeintliche Echofelsen ist aus Medienmaché.

Ian Kershaw ist klug genug, kritische Fragen an die Zukunft seiner britischen Heimat und der EU zu stellen, er ermahnt dringlich zu Reformen. Was er sich dabei vom Walten der Bundeskanzlerin Merkel und des Präsidenten Macron verspricht, blieb mir rätselhaft. Bisweilen verengt er die Perspektive, etwa wenn er zunehmenden Islamistischen Terror auf Kolonialismus und fraglos verderbliche Interventionen des Westens im Nahen Osten bzw. in Afrika sowie Benachteiligungen von Moslems in Europa zurückführt. Innersystemische Impulse religiös grundierten Machtwillens kommen kaum ins Blickfeld.

Zeit, einen Blick auf eine zweite Metapher des Autors zu werfen, den “Schraubstock”. Er verwendet sie für die totalitären Regimes des Ostblocks, sie ist einprägsam aber etwas simpel. Es drehten ja nicht nur ein Stalin, Breshnew, Honecker und ihre Gefolgschaft an der Schraube gesellschaftlicher Kontrolle. Da sind Hunderttausende von Rädchen und Hebeln im Gestell des Staates und der Medien, “An-Gestellte”, und was sie treibt, ist nicht nur Einkommen, sondern auch informelle Teilhabe an der Macht. Sie gehören dazu, und Konformität ist der Eintrittspreis.

Solche Organisationen, gern auch als Bürokratie bezeichnet, waren in der Geschichte erstaunlich resilient gegenüber Machtwechseln: Deutsche Beamte blieben nach Hitlers Ermächtigung ebenso in Lohn und Brot wie nach dessen Untergang. Jüngstes Beispiel sind fast problemlos vom IS übernommene Behörden in Teilen des Irak; Houellebecqs Roman “Soumission” (“Die Unterwerfung”) beschreibt den Übergang zur Herrschaft des Islam in Frankreich aus der Sicht eines Hochschul-Angestellten. Ian Kershaw beweist auf der Fahrt mit der Achterbahn auch seine Sachkenntnis in Kunst, Literatur, Musik. Erstaunlicherweise deutet er nur an, welche Fragen sich insbesondere für die Kultur stellen, wenn in der EU, aber auch den UN und zahllosen immer mächtigeren NGO eine supranationale Bürokratie heranwächst, deren Anspruch auf Konformität schon sichtbar, deren Kompetenz zur Lösung der entscheidenden Konflikte in der Welt aber genau deshalb durchaus zweifelhaft ist.

Am Anfang ihrer Amtszeit verkündete Angela Merkel, sie wolle der Bürokratie Schranken setzen. Inzwischen treffen planwirtschaftliche Ausflüge der Bundeskanzlerin – etwa in der Klima-, Energie- und Migrationspolitik – auf ein erstaunliches Einvernehmen bei fast allen Parteien. Auch die Medien gehen gern konform. Widerspruch gegen die uneinlösbaren Wechsel auf europäische, gar globale Lösungen wird gern mit politischem Extremismus in Verbindung gebracht: “Rechts” und “populistisch” sei das. Auch Kershaw zeigt mit dem Finger in diese Richtung. Dass aber in Polen, Ungarn, Österreich konservative Regierungen großen Rückhalt finden, eben weil Frau Merkel und die EU-Bürokratie versagen, klärt er gar nicht als systemischen Mangel auf. Kurz und Orban haben nicht seine Sympathien – anders als der “grüne” Österreichische Präsident Van der Bellen. Das ist schön subjektiv, schmälert nicht das Vergnügen und ist mir viel lieber als vorgebliche „Objektivität“.

Am Schluss der “Achterbahnfahrt” spricht Kershaw vor allem von der Unsicherheit, Unvorhersagbarkeit und Unwägbarkeit aktueller Entwicklungen. Nein, eine EUdSSR wird es nicht geben, schon gar kein neues Nazireich. Aber bewegen wir uns nicht derzeit auf den Gleitkissen politischer Korruption weiter Richtung Konformismus? Viktor Frankl hat ihn als ebenso gefährlich für die Demokratie bezeichnet, wie den Totalitarismus, und mit dem Blick auf China, wo der Staat mit totaler Überwachung Konsens und Konformität der Meinungen durchsetzt, ist das beklemmend aktuell.

Unvermeidlich sind und bleiben Konflikte mit solchen Staaten, wenn individuelle Freiheit und Menschenrechte verteidigt werden sollen. Werden die westlichen Demokratien standhalten oder sich – wie auch immer ideologisch fundierten – kollektivistischen Diktaten unterwerfen? Sie haben – z.B. in den KSZE-Verhandlungen – Stärke bewiesen, als sie Menschen- und Bürgerrechte gegen den totalitären Konsens von der Überlegenheit sozialistischer Gesellschaften vertraglich durchsetzten. Vielen Europäern brachte das die Freiheit. Dass ein solcher Prozess in globalen Konflikten möglich wird, ist nicht mehr als eine Hoffnung. Sie zerbräche, wenn in den europäischen Staaten selbst Überwachung und Kontrolle durch bürokratische Apparate – seien es Behörden oder “outgesourcte” Zensur-, Spitzel- und Denunziations-Kollektive – die Freiheit der Bürger auf konforme Schienen zwänge.

 

Ian Kershaw Achterbahn

Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt

Originaltitel: Roller-Coaster. Europe 1950-2017

Originalverlag: Allen Lane

Hardcover mit Schutzumschlag, 832 Seiten, 15,0 x 22,7 cm

mit Abbildungen

ISBN: 978-3-421-04734-2

Vom Glück, nicht beachtet zu werden

Pieter Brueghel "Superbia" - der Hochmut

Pieter Brueghel „Superbia“ – der Hochmut, eine der Todsünden, kommt bekanntlich vor dem Fall

Der mechanische Wahn, der alles quantifiziert und sich die Welt zurecht-rechnet, zurecht-modelliert mittels digital inflationierter Statistik, ebnet den Unterschied, also die Qualität, im Dienste von Geldmaschinen oder politschen Superdominanzen – schlimmstenfalls im totalitären Staat – ein. Die Superdominanzen in seiner Gefolgschaft schillern inzwischen in allen ideologischen Tarnfarben – alle erweisen sich als zwiegeschlechtliche Frucht von Kapital und Religion oder Machtgier und Bigotterie oder … denk er sich jede moderne Verbindung jeder Sorte religiösen Irrsinns mit Habgier, Herrschsucht, Rachegelüsten, Schadenfreude etc. hinzu. Dem nicht als – mehr oder weniger williger – Gehherda ausgeliefert zu sein, ist höchstes Glück und köstlicher Tanz auf dem Ereignishorizont.

So weit, so gut. Mir hat es nichts ausgemacht, dass meine Bücher und Weblogs wenig beachtet wurden. Für mich waren sie der Garten, den ich zum Ende meines Lebens hin mit mir gefälligen Blüten bepflanzen wollte, öffentlich zugänglich, allfälligen Besuchern zum Vergnügen. Kritiker mit guten Ideen, wie manches zu beschneiden, zu erneuern wäre, sind darin willkommen. Der Wettkampf von Konzernen und Politbürokraten um die Weltherrschaft wollte es, dass die EU-Administration diese Art individueller Gärtnerei Regeln unterwerfen zu müssen meint, die Aufmerksamkeits-Monster wie Google, Microsoft, Amazon, Facebook etc. im Gebrauch von Nutzerdaten zügelt.

Es war zu lesen, dass Google 500 Mannjahre aufwenden musste, um den Anforderungen der DSGVO nachzukommen. Ein Blick auf die Dienste, die sich unterm Dach dieses Giganten sammeln, die dort auf komplexe Weise vernetzt sind, die einer wie ich gern gratis schon aus Neugier nutzt, lässt einen ahnen, welches Ausmaß solche Regelungswut erreicht. Und ich habe keine Ahnung, inwiefern ich womöglich durch ein dort gehostetes Weblog gegen irgendeine der mir kaum verständlichen Auflagen verstoße, was rührigen Fachleuten dank von schlauen Algorithmen geleisteter digitaler Nachforschungen gestattet, mich kostenpflichtig abzumahnen.

Vorsorglich habe ich also meine Weblogs bei blogger.com entöffentlicht – leider auch „kosmosmensch.blogspot. com“, wo ich gratis Texte und deren Überarbeitung zu meinem Buch „Der menschliche Kosmos“ zehn Jahre lang zugänglich machte.

An dieser Stelle sei ausdrücklich der Anwaltskanzlei Dr. Thomas Schwenke gedankt, die Bloggern wie mir einen Generator für die DSGVO-konforme Datenschutzerklärung online an die Hand gab: Bei WordPress.com gehostete Webauftritte können hoffentlich auf diese Weise weiterhin Teil des demokratischen Meinungsspektrums bleiben, ohne denunziert und von Profiteuren des Abmahngeschäfts zum Aufgeben gezwungen zu werden. In derlei juristischen Konstellationen bleibt einer freilich – wie auf hoher See – des Geschickes Mächten ausgeliefert. Sei’s drum: Der Schiffbruch ist seit je Lebensrisiko.

Fragen nach Sinn und Ziel

RaedernThetriumphofdeath_-_detailKrisenherde, Gewalttätigkeiten, Kriege und Massaker in „Failed States“ treiben Bilderwogen hoch, der politische Einfluss von Nationalstaaten aufs wirtschaftliche Geschehen schwindet, die #EU ist eher ein Sanierungsfall als gestaltende Kraft im globalen Geschehen. Vor der Bundestagswahl werfen sich Parteien in Pose, ihre Programme bestehen hauptsächlich aus Worthülsen. Um ihre Handlungsunfähigkeit auf den wesentlichen Feldern wie Energie-, Migrations-, Finanz-, Abrüstungspolitik zu kaschieren, füttern sie mit Steuergeldern Korporationen – darunter zahllose sogenannte NGO -, die sie folgerichtig als willige Helfer für den Machterhalt und Schutzschild gegen unerwünschte Kritik dienstbar machen.

Statt Konflikte zu benennen und nach Lösungen zu suchen, gebrauchen fast alle Protagonisten der Wahlkämpfe den dicken Zeigefinger, der immer auf die anderen weist, und gegenüber den Wählern die bevormundende Moralkeule in der Art von Aufklebern auf Tabakverpackungen (Tödlich! Gefährlich! Klimaschädlich! Arm- und krankmachend…!). Sie mobilisieren den Versicherungs- und Vermeidungsimpuls der Wähler. Selbständigen Handlungs- und Entscheidungswillen, Meinungsfreiheit und Verantwortungsbereitschaft bremsen solche Organisationen gern aus, denn sie dienen nicht ihrem wichtigsten Ziel: Selbsterhaltung – koste es das Gemeinwesen, was es wolle.

Schauen Sie sich daraufhin die vertrauten „Gestelle“ (die Bezeichnung weist aus, dass vor allem ihre An-Gestellten nutznießen) einmal an.kosmos_200

Wenn Sie sich für Zusammenhänge, Strukturen und Handlungsmuster interessieren, ihre eigene Position daraufhin befragen wollen, ob und wieviel sinnvolles und erfülltes Erleben sich damit verbindet, dann lesen Sie “Der menschliche Kosmos” einfach online – so viel Sie mögen – und stellen Sie Ihre Fragen.

„Der menschliche Kosmos“ ist nämlich Ihrer.