Bei den Buchpräsentationen von „Babels Berg“ werde ich immer wieder nach der Fortsetzung gefragt und wie denn der Titel „Raketenschirm“ zu verstehen sei. Dann verweise ich natürlich auf die militärische Idee, allfällige Raketenangriffe eines Gegners mit elektronischen, Laser-, Hyperschall- oder anderen Maßnahmen abzuwehren. Die am weitesten reichende Spirale dieses Wettrüstens dürfte das noch von Ronald Reagan favorisierte System einer Raketenabwehr im Weltraum – SDI – gewesen sein. Es wurde nicht mehr gebaut.
Die NATO brachte inzwischen die russische Führung mit Plänen gegen sich auf, in Osteuropa an mehreren Standorten einen Abwehrschild gegen Raketen aus dem Mittleren Osten zu installieren; in Moskau sah man das als Bedrohung eigenen Territoriums bzw. Einflussgebiets. Die Kontroverse ist nicht abgeschlossen, so lange irgendwer irgendwo in der Welt mit Raketen seine Nachbarn bedroht.
Allerdings assoziiere ich mit „Raketenschirm“ mehr als nukleare Mordwaffen der Auschwitzklasse. Vor allem kommt mir jene als Abschreckung gegen zuviel Neugier und Abenteuerlust von Herrn Dr. Hoffmann erfundene und illustrierte Geschichte in den Sinn, die ich nebenstehend aus der „Wikipedia“ übernommen habe. Ich liebe sie, weil sie zeigt, wie sich ein Objekt verselbstängt, das als Instrument Lust und Begierde dienen soll, wie aus Spiel Ernst wird, aus Patschen in Pfützen ein Flug in die Welt.
Den wahrscheinlichen Absturz blendet Dr. Hoffmann – sonst um grausige Details nicht verlegen – seltsamerweise in dieser Struwwelpetergeschichte aus. Ob er ausnahmsweise den Traum vom Fliegen wichtiger nahm als die Erziehung zum Bravsein?
Die unvorhersehbaren Raketen des Sturmwindes unterm scheinbar harmlosen Schirm, dessen Verwandlung Robert ins Reich der Sehnsucht entführt, wohin, „das vermag kein Mensch zu sagen“, ist ein Motiv der Trilogie über Gustav, der geradeso abenteuerlustig, unvernünftig, widersetzlich durch die Welt stromert wie Robert.
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Bücher brauchen Kinder
Es ist eine elementare Gabe des Menschen, dass er erzählend die Phantasie seiner Zuhörer in ganz eigene Welten entführen kann, wo sie ihrerseits viel mehr erleben, als der Erzähler weiß. Man nennt das gern „Kino im Kopf“. Nicht jeder mag sich auf von ihm selbst erfundene Filme verlassen; meine Großmutter nahm ein in rotes Leinen gebundenes dickes Buch mit goldner Prägung zur Hand, die „Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm“, las daraus vor und half, uns Kindern die Zukunft als angepasste, folgsame, unkritische Zeitgenossen zu verderben.
Wenn Kinder heute sagen: „Lies mir vor“, dann ist das ein Vertrauensbeweis. Natürlich macht es Spaß, sie zum Lachen und zum Staunen zu bringen – es ist die nobelste Verpflichtung. Aber sollten sie nicht auch Schwimmen lernen in einem Phantasiemeer voll Untiefen, voll mit gefährlichen Strömungen, allüberall lauernden Schlingpflanzen und womöglich gar tödlichen Monstern? Beinahe schwieriger: kann man sie bewegen, nicht nur im Seichten zu plätschern, sondern den quietschbunten Gummibooten, lärmigen Animateuren, banalen Plastikhilfen das mutige Eintauchen vorzuziehen, sich nicht für den Schwimm-Ersatz zu entscheiden, sondern fürs Ausdauertraining, belohnt vom Gefühl „ich kann mich dem Wasser anvertrauen, mich aus eigener Kraft darin behaupten“?
Das Buchprojekt „Lies mir vor“ bot bisher wenig bekannten Autoren die Chance, sich solchen Fragen zu stellen. Sie durften ehrlich mit ihren künftigen Zuhörern umgehen, sie mussten sich nicht anbiedern, weil sie unbedingt etwas verkaufen wollten. Die Erzählerinnen und Erzähler, die sich im Wettbewerb des „Autorenweb“ für die Publikation qualifiziert haben, ermuntern auf jeweils eigene Art zum gemeinsamen „Schwimmtraining“ von Zuhörern und Vorlesern. „Lies mir vor“, unter Schirmherrschaft des Rotary Club Berlin Potsdamer Platz bei „Books on Demand“ veröffentlicht, macht Kindern Lust, die Welt aus unterschiedlichen Perspektiven zu erleben – etwa aus der eines kleinen Menschen, der so anspruchslos wie heiter in einem Schließfach am Würzburger Hauptbahnhof haust oder aus der eines Bienenschwarms, dem die Königin geraubt wurde. Schutzengel und Feen tauchen auf, Tiere und Handys können sprechen; es finden sich Gedichte nach Fabeln, sie sind prima auswendig zu lernen und eine gute Schule fürs Sprachgefühl. Großmächtige Helden tauchen nicht auf, literarischer Schwulst ebensowenig. Neugier, Phantasie, Hilfsbereitschaft, die Überzeugung, dass das Wunderbare sich direkt vor unseren Augen ereignet, wenn wir nur sehen wollen, sind Zutaten der Geschichten und Gedichte in diesem Bändchen, dem man nur ein etwas hochwertigeres editorisches Gewand wünschte – zumal der Erlös sozialen Projekten zugute kommen soll.
Dabei ist „Lies mir vor“ eigentlich Teil eines sozialen Alltagsprojekts, bei dem wirklich fast jeder sich um die Zukunft der Kinder verdient machen kann: jeden Tag, fast überall mit all den wunderbaren Texten der Weltliteratur, die nicht nur für Kinder geschrieben sind.
Eine kurze Probe zu “Lies mir vor” als Video zum Nach- und Bessermachen für die Kinder ;-):
Bei Book on Demand ISBN 978-3-8391-7272-8
Paperback, 184 Seiten (9 Zeichnungen)
20,00 Euro